Autor: Daniel Stefes, Team Radmarathon
Die MANNschaft e.V. Verein zur Förderung des Ausdauersports
Jedes Jahr im März steigt bei rund 20.000 Rennradfahrern die Aufregung, wenn die begehrten Startplätze des Ötztaler Radmarathons verlost werden. Marc, Tobias und ich waren als Team mit dabei und konnten tatsächlich drei der über 4.300 Startplätze ergattern. Raphael erklärte sich gerne bereit uns zu begleiten und vor Ort zu unterstützen.
Der Ötztaler Radmarathon ist einer der schwersten Radmarathons der Alpen. Auf einer Strecke von 238 Kilometern und 5.500 Höhenmetern werden von Sölden im Ötztal die Stubaier Alpen auf dem kürzesten asphaltierten Weg umrundet. Es gibt keine Möglichkeit abzukürzen oder auf eine leichtere Streckenvariante auszuweichen. Und genau das macht den besonderen Reiz aus. Alle Teilnehmer müssen die Strecke in 13:30 Stunden schaffen.
Wer nicht mehr kann oder an den Kontrollpunkten das Zeitlimit nicht einhält muss in einen der hinterherfahrenden Besenbusse steigen. Vier Alpenpässe sind zu bezwingen, das Kühtai
(17 Kilometer, 1220 Höhenmeter, 7% Steigung), der Brenner (38 Kilometer, 700 Höhenmeter, 2% Steigung), der Jaufenpass (15 Kilometer, 1.150 Höhenmeter, 7,6% Steigung) und zum Schluss das schwere Timmelsjoch (29 Kilometer, 1.800 Höhenmeter, 6,3% Steigung).
Wir reisten bereits am Donnerstag an, damit wir uns am Freitag das Profirennen PRO Ötztaler 5500 auf derselben Strecke anschauen konnten. Nachdem wir noch den Start in Sölden gesehen hatten, ging es per Seilbahn zum Wurmkogel mit kurzer Besteigung des Gipfels. Anschließend von Hochgurgl die letzten 400 Höhenmeter mit dem Rad hinauf zum Timmelsjoch, wo wir die Profis in der entscheidenden Rennphase anfeuerten.
Der Samstag stand ganz im Zeichen der Rennvorbereitung: kurze Runde zum Einrollen, Massage, Pastaparty, Fahrerbriefing und Wettervorhersage. Dabei allseits eine leicht angespannte und nervöse Atmosphäre – einfach einzigartig beim Ötztaler.
Sonntag dann Renntag: 5 Uhr aufstehen, Frühstück fällt mir so früh immer schwer, 6 Uhr am Start und die Feststellung, dass rund 3.000 Starter schon früher aufgestanden sind… Hauptsache das Wetter wird so gut wie vorhergesagt: zwischen 10 und 28 Grad, leichte Schauer und Gewitter vielleicht am Nachmittag. Um 6:45 Uhr fällt der Startschuss und langsam setzt sich das Feld in Bewegung. Um 6:50 Uhr rollen auch wir über Startlinie.
Mit einem Schnitt von knapp 50 km/h geht es die ersten 30 Kilometer immer leicht abwärts bis nach Oetz. Dort am Kreisverkehr scharf rechts sofort in die steilen Rampen des Kühtai, direkt über 10%. Es geht sehr eng zu und jeder versucht seinen Rhythmus zu finden. Auf den nächsten Kilometern hinauf zum Pass wird sich das Feld immer weiter auseinanderziehen.
Das Rennen von Tobias:
Ich fahre den Kühtai bei besten Bedingungen ganz nach Puls und meinem Tempo. Marc ist ein paar Meter voraus. Auf der Passhöhe finden wir uns in dem ganzen Gewühle nicht und so starte ich allein in die steile und lange Abfahrt nach Innsbruck. Hier finde ich auch schnell eine große Gruppe, in der ich mich im Windschatten ganz gut auf den Brenner ziehen lassen kann. Hier treffe ich auch Marc, der aber schon wieder aufbricht als ich gerade ankomme. Ich bin gut in der Zeit und deutlich schneller als 2014. Auf den letzten Kilometern hinauf fühlte sich mein rechter Bremshebel etwas wackelig an, aber an der Servicestation auf dem Pass ist zu viel los – also weiter in die Abfahrt nach Sterzing. Mist, der Bremshebel wird immer lockerer! Im Anstieg zum Jaufenpass kann ich gerade noch einen mobilen Servicewagen erwischen. Einmal Lenkerband runter, Schrauben neu anziehen, provisorisch wieder aufwickeln – weiter geht’s. An der Labe unterhalb der Passhöhe verpflege ich mich nochmal richtig. Marc ist natürlich jetzt schon weiter vorne weg, aber ich bin trotz der 20 Minuten schneller als 2014. Nach der Abfahrt nach St. Leonhard geht es jetzt bei heißen 30 Grad in den letzten und härtesten Anstieg, das Timmelsjoch. Die ersten Kilometer sind heiß, steil und zäh. Immer wieder steile Rampen über 10%, dazu jetzt schon über 180 Kilometer und 3.500 Höhenmeter in den Beinen. Endlich komme ich an der letzten Labe in Schönau an. Die ersten Krämpfe kündigen sich an. Und zu allem Überfluss fängt es auf den letzten 10 steilen Kilometern hinauf zur Passhöhe auch noch wie aus Eimern zu regnen. Aber ich weiß, dass ich es heute schaffe. Die Zeit ist noch gut, und die letzten 800 Höhenmeter werden jetzt auch noch irgendwie gehen. Dann bin ich endlich oben. Auf der Abfahrt nach Sölden stellt sich noch ein letzter Gegenanstieg zur Mautstation in den Weg. Auf den 150 Höhenmetern kommt wieder ein Krampf und ich muss kurz aus dem Sattel. Als ich wieder aufsteige merke ich, dass die Nase an dem Cleat am linken Schuh gebrochen ist! Ich kann nur noch rechts vernünftig pedalieren. Aber auch egal! Die letzten Kilometer nach Sölden genieße ich und darf mich nach 12 Stunden und 17 Minuten zum zweiten Mal Finisher des Ötztalers nennen! Und das deutlich schneller als 2014!
Das Rennen von Marc:
Das Kühtai ist unrhythmisch. Steile Rampen und etwas flachere Passagen wechseln sich ab. Tobias muss kurz hinter mir sein und so ziehe ich mein Tempo bis zum Pass durch. Unglaublich, wie viele Zuschauer uns Radfahrer hier oben anfeuern! An der Labe warte ich kurz auf Tobias, finde ihn aber nicht, einfach zu viel los. Also schnell ein paar Kraftkugeln rein und weiter in die Abfahrt. Mit an die 90 Sachen geht es nach Innsbruck und weiter in einer guten Gruppe zum Brenner. Alles läuft bestens, auch wenn ich schon ziemlich Respekt vor den noch kommenden Bergen habe. Auf dem Pass treffe ich kurz noch auf Tobias, will aber weiter. Nicht dass ich am Ende doch noch Probleme mit der Kontrollzeit bekomme…
Der Jaufenpass ist zäh und kostet mit durchgehend 7 % ziemlich Kraft. Endlich ist die Labe da und ich kann in die Abfahrt nach St. Leonhard wieder Gas geben. Hier gibt es aber so viele Kurven und Kehren, dass man immer beide Hände in der Nähe der Bremsen haben muss. Endlich unten geht es jetzt in den letzten Berg, das Timmelsjoch. Tobias ist laut Zeitnahme-App rund 9 Minuten hinter mir.
Jetzt nur nicht mehr einbrechen. Was für ein fieses Ding, gerade bei den heißen Temperaturen. Als ich endlich Schönau erreiche ist es auch höchste Zeit für neue Energie.
Die kommt aber auch von allein, denn jetzt weiß ich, dass es heute klappen wird.
Mit schweren und schmerzenden Beinen gehe ich die letzte steile Wand hinauf zum Pass an. 10 Kilometer, meist 10% und steiler. Dazu jetzt der heftige Regen. Dann auf einmal ein riesiger Regenbogen. Punkt 18 Uhr bin ich auf dem Timmelsjoch, nach 11 Stunden und 10 Minuten. Vielleicht geht es ja unter 12 Stunden heute? Auf regennasser Fahrbahn stürze ich mich buchstäblich in die Abfahrt. Der Gegenanstieg zur Mautstation tut nochmal weh, aber ich gebe alles und rolle nach 11 Stunden und 55 Minuten über die Ziellinie in Sölden – wo mich Raphael wie verabredet mit einem kalten Gösser erwartet! Stolz und glücklich macht es zisch…
Mein Rennen:
Seit einem Jahr hatte ich so richtig Lust auf dieses Rennen. Irgendwann im Winter beim Rollentraining setzten sich dann die „11 Stunden“ in meinem Hinterkopf fest. Und so hatte ich mir von Beginn an einen Zeitplan zurechtgelegt, wie ich die 11 Stunden packen könnte. Mit kontrolliertem Puls ging es das Kühtai hoch. Alles lief bestens, Wetter perfekt, Beine super.
So schnell wie möglich verpflegt und direkt in die Abfahrt nach Innsbruck. Jetzt nur bitte eine gute Gruppe finden, die mich mit über den flachen aber langen Pass zieht – dabei aber nur nicht den Fehler machen, zu viele Körner zu verbrennen – sonst würde es sich am Jaufen und Timmelsjoch rächen. Die erste Gruppe ließ ich ziehen, die zweite schien mir perfekt. Oben auf dem Brenner war ich 17 Minuten vor meiner geplanten Zeit und große Zuversicht machte sich breit. Ich nahm mir etwas mehr Zeit zum Essen, hatte nach der Abfahrt in Sterzing aber weiterhin 16 Minuten Vorsprung. Vor dem Jaufenpass hatte ich am meisten Respekt.
Sehr gleichmäßig bei guten 7 % geht es 15 Kilometer bergauf. Bereits auf den ersten Metern lief es irgendwie nicht mehr so rund wie erhofft und der Berg zog sich ewig. Nach einer gefühlten Ewigkeit kam die Labe in Sicht, aber die letzten Meter zogen sich weiter wie Kaugummi. Endlich Energie tanken! Die Hälfte meines Vorsprungs war dahin und das Timmelsjoch lag noch vor mir. Die Abfahrt ist sehr kurvig und gefährlich. Volles Vertrauen ins Material und die Bremsen ist hier nötig! In St. Leonhard dann 30 Grad und in praller Sonne in den Anstieg. Minute um Minute sah ich den schönen Vorsprung schmelzen. War ich doch zu schnell angegangen? Kurze Pause, ein Gel, etwas fahren, Pause, etwas trinken…. endlich in Schönau! Auf den letzten 1000 Höhenmetern hatte ich aus 15 Minuten Vorsprung 5 Minuten Rückstand gemacht. An der Labe schnell eine Suppe und etwas Kuchen, dann weiter. Autsch, kurz nach dem Aufsteigen Krämpfe in beiden Oberschenkeln. Hier ist es zum Glück etwas flacher, sodass ich mit schnellem Kurbeln die Krämpfe wieder wegbekam. Nach und nach ging es aber jetzt wieder besser, sodass ich in den nächsten Kehren anfing zu rechnen… vielleicht könnte es doch noch klappen mit den 11 Stunden. Endlich der Tunnel und das flache Stück zur Passhöhe, nur 3 Minuten hinter der Planzeit! Aber jetzt volle Kanne Regen von vorne! Nach wenigen Metern pudelnass in die Abfahrt. Der Gegenanstieg mit schmerzenden Beinen geht aber noch irgendwie. Weit unten im Tal wird Sölden von der Sonne beschienen und ich fahre hier im Regen! Die letzten Flachstücke nochmal alles was noch geht Richtung Ziel. Die letzten Kilometer bringen dann Gewissheit, es wird reichen! Mit breitem Grinsen durch Sölden, die vielen Zuschauer und bei Sonne unter den Zielbogen! 10 Stunden und 49 Minuten stehen auf der Uhr! Geil!
Der Tag von Raphael:
Sonntag Morgen, der Wecker klingelt viel zu früh aber jetzt heißt es aufstehen, um rechtzeitig beim Start des sagenumwobenen Ötztaler Radmarathon zu sein.
Während die anderen unter einer gewissen Anspannung das Frühstück einnehmen kann ich ganz entspannt in den Tag starten, ich fahre das Rennen nicht mit, mir war bewusst, dass ich die Trainingskilometer in diesem Jahr nicht aufbringen kann, dennoch wollte ich bei diesem Radspektakel dabei sein.
Nachdem die drei gestartet sind hab ich meine Alternativroute, den Ötztaler Minithon gestartet. Zuerst ging es in das Bergsteigerdorf Vent mit relativ leichtem Anstieg über
600 Höhenmeter. Entlang der Venter Ache an einigen kleinen Wasserfällen vorbei ging es dann den gleichen Weg wieder zurück, um dann den eigentlichen Anstieg anzugehen, den Rettenbachferner. Bei mittlerweile gestiegenen Temperaturen und durchgehend 10-18 % Steigung schraubte ich mich langsam dem Ziel, dem Rettenbachferner entgegen.
Nach einem langen dunklen Tunnel durchs Gebirge kam ich endlich auf der anderen Seite des Berges auf circa 2.830 Metern Höhe am Tiefenbachferner an, nur leider war vom Gletscher weniger zu sehen als ich erwartet hatte. Nach einer kurzen Pause fuhr ich bei leichtem Schneeregen los um rechtzeitig zum Zieleinlauf der ersten Radfahrer wieder in Sölden zu sein. Nach insgesamt 2.200 Höhenmetern und 62 Kilometern kam ich dann bei sommerlichen Temperaturen an und konnte später Daniel, Marc und Tobias im Ziel empfangen. Ein schöner Tag.
Fazit:
Der Ötztaler ist einfach einzigartig: perfekt organisiert, extrem anspruchsvoll, tut richtig weh, macht aber noch mehr Spaß. Zu viert haben wir ein tolles Radspektakel erlebt. Jetzt lassen wir es wohl die nächsten Wochen auf dem Rad etwas ruhiger angehen.